Die Orthographie des Mittelfranzösischen (14.-15. Jhdt.)
Lautliche und graphische Veränderungen im Mittelfranzösischen des 14. und 15. Jhs.
Veränderungen der Diphthonge und ihre Darstellungen in der Schrift
Der Diphthong [aj] wurde bereits seit Beginn des 12. Jahrhunderts wie [ej] ausgesprochen, woraus sich dann ein [e] entwickelte. In der Graphie blieb dieser Diphthong vorerst erhalten, jedoch kann man in Zeugnissen aus dem 12. und dem 13. Jahrhundert erkennen, dass man hin und wieder die Graphie e benutzte: fere statt faire, lerme statt lairme (nfrz. larme), mestre für maistre (nfrz. maître) oder serement für sairement (nfrz. serment).
Die alte Orthographie hielt aber durchweg diesen Neuerungen stand und hat diesen nur in einigen wenigen Fällen Platz gemacht, so z. B. bei neufranzösisch frêle (altfrz. fraile, zierlich), frêne (altfrz. fraisne, Esche), ménage (altfrz. maisnage, das übrigens eine Ableitung von maison ist) sowie serment.
Dass der heute oi geschriebene Diphthong ebenfalls Lautentwicklungen durchgemacht hat (nämlich von [ej] zu [oj]), wird daran deutlich, dass man auch die Graphie der Wörter angeglichen hat. So wurde z. B. aus esteile das Wort estoile, mei wurde moi, peire bzw. peivre ergab poire bzw. poivre etc.
Jedoch blieb die Aussprache auch auf dieser Stufe nicht stehen, denn man fand Graphien des Typs estuet statt estoit, deçuevent anstelle von deçoivent und so weiter. Das heißt also, der Diphthong entwickelte sich von dem Lautwert [oj] zu [we]. Allerdings, wie immer, wenn sich Laute ändern und man versuchen muss, sie in Schrift darzustellen, kam es auch zu Verwechselungen in der umgekehrten Richtung; man sieht dies u. a. an der überlieferten Graphie joidi anstatt juedi.
Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass die Diphthonge eu und ue zusammenfielen, wobei in der Graphie der Erstere den Letzteren weitestgehend verdrängte, mit Ausnahme von z. B. cueillir. Schon im 13. Jahrhundert hatte man diesen Zustand erreicht, denn man findet aus dieser Zeit schon Verwechselungen in der Schreibung: pruedons / preudons, suel / seul oder treuve / trueve.
Der Diphthong [je] wurde von Beginn des 15. Jahrhunderts an zu [e] vereinfacht, woher die folgenden Formen stammen: chef (< chief), cher (< chier),chercher (< cherchier) oder manger (< mangier). Der ursprüngliche Diphthong blieb lediglich in Nomen, wo er auch heute noch auftaucht: amitié, moitié, pitié etc.
Warum man heute im Französischen für den Laut [u] das Schriftzeichen ou benutzt, liegt an der Tatsache, dass schon im 13. Jahrhundert der Diphthong [óu] (geschrieben ou) sowie das [o] in geschlossenen Silben in der Aussprache zu einem u zusammengezogen wurde, für das man weiterhin dasselbe Schriftzeichen verwendete.
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