Die Orthographie des Altfranzösischen (11.-13. Jhdt.)
Lautliche Veränderungen im Vulgärlateinischen und im Altfranzösischen
Veränderungen der Konsonanten und ihre Darstellung in der Schrift
Sehr früh schon begann man, den Konsonanten b wie v auszusprechen, wenn er zwischen zwei Vokalen stand. So findet man Inschriften wie z. B. avere statt habere, avetat statt habitat u. ä. Ab diesem Zeitpunkt wurden in Gallien alle intervokalischen Konsonanten stimmhaft, d. h. sie wurden sonorisiert. Auf Inschriften aus dem 6.-7. Jahrhundert kann man lesen: ebescubus (< episcopus), segundo (< secundo) und labide (< lapide). 
In den ältesten klassisch lateinischen Inschriften findet man für das Phonem /k/ drei verschiedene Transkriptionen:
- <c> vor hellem Vokal [i, e], wie z. B. in feced (< fecit),
- <k> vor [a] oder Konsonant: Afrikanus,
- <q> vor dunklem Vokal [o, u] oder Halbvokal: pequnia, qui.
Im Vulgärlateinischen wurde dieses System jedoch ziemlich rasch vereinfacht, da es in mancherlei Hinsicht unpraktisch und kompliziert war. Nimmt man z. B. das klassisch lateinische Verb für "singen" (kanere), welches man also nach obiger Regel mit k schreibt, so müsste man dessen Perfekt mit c schreiben (cecini). Um dieses Problem zu umgehen, legte man für diesen Laut [k] andere Attribute fest:
- <k> hielt sich nur in einigen isolierten Wörtern wie beispielsweise kalendae,
- <q> wurde nur noch vor [u] benutzt,
- und <c> wurde das allgemein gebräuchliche Graphem für den Laut [k].
Durch die damalige Aussprache des r, das damals noch als Zungenspitzen-r realisiert wurde, fiel es mit dem hellen l zusammen, was auch Verwechselungen bei der Schreibung zur Folge hatte. Deshalb schreibt man heute auf Französisch pèlerin, obwohl das Wort früher auf Latein ein r anstelle des l besaß (peregrinus). Eine ebensolche Entwicklung gab es bei fragrare (duften), von dem es im Vulgärlateinischen zwei Formen gab, nämlich fraglare und flagrare, und das heute zu flairer wurde. 
Alles in allem wurden Veränderungen in der Aussprache in der Graphie nur selten berücksichtigt, da man ja nur das lateinische Alphabet hatte, auf das man zurückgreifen konnte, d. h. die Zahl der Schriftzeichen war begrenzt. Dadurch wird der von Anfang an vorhandene traditionelle Charakter der französischen Graphie deutlich. Ein Beispiel dafür ist der Wandel der Aussprache des c von [k] nach [ts]. Schon im 9. Jahrhundert sprach man das Wort für hundert [tsent] aus, dennoch wurde es weiterhin cent geschrieben, obwohl das Zeichen c, wie oben schon beschrieben, zur Darstellung des Lautes [k] diente. Anfangs vertrat es sogar den Laut [t∫] vor -a wie z. B. bei camp [t∫amp] oder car [t∫ar]. Doch schon recht bald wurde es durch das heute noch verwendete Zeichen ch ersetzt.
Zur Darstellung des Lautes [ts] vor -a, -o und -u schrieb man weiterhin c, z. B. recoit, comenca etc. Das heute dort verwendete Zeichen " ¸ " (cédille, spanisch cedilla) wurde erst im 16. Jahrhundert aus der spanischen Orthographie entlehnt; ab jenem Zeitpunkt schrieb man dann reçoit und comença. Vorher gab es jedoch Versuche, die Lautkombination [ts], geschrieben ts, durch andere Graphien zu ersetzen, nämlich zum Einen cz, wie z. B. in czo (= ce), und zum Anderen ce, wie beispielsweise in receoit. Am Wortende wurde es durch das Zeichen z zum Ausdruck gebracht: morz (= morts), assez (=assets) usw.
Im Falle des neu entstandenen Lautes [dž] blieb man der bisherigen Schreibweise treu, d. h. man benutzte für das aus dem klassisch Lateinischen stammende Wort gente, das jetzt [džẽnt] ausgesprochen wurde, weiterhin die altbewährte Schreibweise (gent). Auch das lateinische iam, das jetzt durch [dža] verlautet wurde, blieb ia. Ebenso lange überlebt hat das l vor Konsonant, wo es seit dem 9. Jahrhundert ausnahmslos wie der Reibelaut [w] klang; deshalb schrieb man halt für [hawt] (nfrz. haut) oder dolce für [dowtse] (nfrz. doux).
Es kam auch vor, dass man Buchstabenkombinationen kreierte, um neu entstandene Laute darzustellen. gn bezeichnete somit den Laut [nj], der z. B. im Wort legne (aus ligna) und montagne (aus vulgärlateinisch montanja) vorkommt. Dieser Laut wurde aber keineswegs einheitlich dargestellt, denn man findet auch die Graphien -ign- (montaigne, esloignier) und sogar -ngn- (baingner, tesmoingnier). Für den ebenfalls neu entstandenen Doppellaut [lj] schuf man die Graphie -ill-, die am Wortende zusätzlich auf -il- verkürzt wurde. Beispiele hierfür sind paille (aus palea) und ueil (aus oclu, das wiederum aus oculum entstand). Dies wurde ebenfalls nicht einheitlich durchgehalten, denn man findet auch moiler (aus muljere).
Allerdings schuf man nicht für alle entstandenen Laute neue Schriftzeichen, z. B. fand der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Vokalen keine Beachtung. In einzelnen Texten war die Abweichung in der Orthographie sogar noch größer.
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