Die Orthographie des Mittelfranzösischen (14.-15. Jhdt.)
Lautliche und graphische Veränderungen im Mittelfranzösischen des 14. und 15. Jhs.
Der lautliche Zusammenfall von [ã] und [ẽ] und die graphische Realisierung
Während man heute noch im Normannischen in der Aussprache der Wörter tant und vent einen Unterschied macht, hat sich diese Differenzierung im Dialekt der Ile-de-France schon ziemlich früh verloren. Dadurch zog es auch einen Verlust der graphischen Unterscheidung nach sich, d. h. das etymologisch zustande gekommene en / em wurde manchmal zu an / am (siehe auch unten femme). Ein Beispiel dafür ist das neufranzösische Wort langue, das im Altfranzösischen lengue geschrieben wurde, denn es hatte sich regelkonform aus lingua entwickelt. Die neu kreierte Schreibung langue, die aus Verwechselung der beiden Nasalvokale entstanden ist, wurde bis heute beibehalten. Weitere Beispiele sind denz > dans und sens > sans.
Diese Verwechselung ist auch der Grund, warum man das neufranzösische Wort femme heute [fam] ausspricht. Im Altfranzösischen wurde es nämlich noch [fẽme] ausgesprochen, danach fiel, wie oben beschrieben, die Aussprache von an / am und en / em zusammen, es wurde [făme] ausgesprochen. Es blieb aber bei der alten Schreibung femme.
Eine analoge Entwicklung kann man auch bei den Nasaldiphthongen ein / eim und ain / aim beobachten. Man schreibt heute contraindre, obwohl es auf altfranzösisch constreindre hieß. Ebenso veränderte sich veincre zu vaincre.
Die Entwicklung ging sogar noch weiter. Oben genannte Nasaldiphthonge wurden später sogar mit dem Nasalvokal in / im verwechselt. Schreibungen wie plin (= plein), vainrent (= vinrent) oder citadaing (= citadin) wurden gefunden. Kurioserweise merkten die Grammatiker im 16. Jahrhundert, dass die Worte faim und haim genau wie fin und hin klangen, jedoch stellten sie damit nur eine längst existente Erscheinung fest.
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